Unter Jägern
Sabine Treude auf www.prairie.at
, 20.März 2003:
http://www.prairie.at/artikel/20030320223413
Margit Tõnson im Eesti Ekspress, 2. Nov. 2006
(Übersetzung aus dem Estnischen: Katrin Kaugver)
Bettina
Balàka: “Unter Jägern”
Bettina Balàka gehört zu den wichtigsten
Namen der österreichischen feministischen Literatur,
doch hat man sie wesentlich weniger übersetzt
als die heftige Nobelpreisträgerin Elfriede
Jelinek. Ja, Balàka ist in gutem Sinn milder
sowohl im Ton als auch in ihren Themen, dies wird
jedoch kompensiert mit psychologischem Scharfblick
und Untergrabungen im tiefen surrealen Dickicht des “Frauentums”,
in welchem sich zu verirren nicht beängstigend,
sondern erlebnis- und gar genussvoll ist. Balàka hat wohl einen unendlich tiefen Glauben
an das geschriebene gesprochene Wort, dennoch kann
man nicht von großer Ehrfurcht diesbezüglich
sprechen. Wie ein Kind spielt sie mit dem Wort und
den Bedeutungen. Das beste Beispiel zu solch surrealen
Metamorphosen ist die Novelle “Unter Jägern”,
in dem sich die Ich-Erzählerin (eine Frau) ohne
weiteres zu einem Wolf in der Höhle, einem Raubvogel
am Firmament, einem Schützen und einem Beutetier
usw. verwandelt.
Balàkas Frauen sind schizophren, in ihnen
kämpfen zwei unversöhnliche Gegensätze – der
eine ist die Vorstellung der Frau selbst, was sie
ist oder sein könnte, der andere die Erwartungen
des Systems (des Mannes, des Staates, des Kindes,
der Schwiegermutter etc.) an sie. Der Wunsch, alle
diese Erwartungen zu erfüllen und sich selbst
dabei nicht zu verlieren verursacht eben Psychosen
und Neurosen, dies scheint die Schriftstellerin zu
beweisen. Doch niemand beginnt zu rebellieren, oder
springt aus dem Fenster, man versucht eher das System
mit einer äußerlichen Perfektion zu täuschen.
Eigentlich sei ja ohnehin nichts los. (Übrigens,
Vikerkaar veröffentlichte ihr Essay “Messer”,
wo sie das Aufeinanderprallen des Selbstbildnisses
einer modernen Frau und der fordernden Ansprüche
der Gesellschaft im Messer eines Schönheitschirurgen
gegenüberstellt).
Die Kurzgeschichte „Als ich Mutter wurde“,
die auf offiziellen Dokumenten des Bürokratieapparates
basiert, könnte ein gutes Szenarium für
ein Ken Loach ähnliches Werk des Dokumentarrealismus
liebenden Regisseurs sein. Da rüttelt der Staat
(das System) mit Lust die wackelige Schraube der
unvollständigen Familie vom Triebwerk los und
nimmt der arbeitenden Mutter das Kind endlich weg.
Da der Staat ja besser weiß, was für das
Kind gut ist. Jedenfalls sieht Balàka auch
im Paarleben nichts anderes als eine Verschwörung,
die die Frau an das Kirche-Küche-Kinder-Rad
zu fesseln versucht. Und die Konsumwelt bringt das
Ganze noch in Schwung.
Carola Ebeling in der EMMA, Mai/Juni 2003:
„
Ich war nie verwegen, so sind meine Wege vergangen“,
sagt eine der Frauen im vierten Erzählband „Unter
Jägern“ von Bettina Balàka. Aber
dieser zweifelnd resignative Ton ist nur ein Aspekt.
Wie schon in ihren anderen Büchern spürt
die Österreicherin den (Über)Lebensversuchen
ihrer weiblichen Figuren nach, die nie zu einer klaren
Lösung führen.
Auch nicht für die namenlose Ich-Erzählerin,
die in „Weg auf Steinen“ alleine nach Kreta
aufbricht, der Insel, die „ein brennender Stein
im Gedächtnis“ werden soll. Denn bald wird
eine Operation ihr das Reisen, überhaupt jede
Fortbewegung, auf unbestimmte Zeit unmöglich machen.
Der weibliche Körper als Schlachtfeld ist ein
zentrales Motiv Balàkas. Wenn der Unterleib
also „nun ein schmerzendes Loch (ist), entbeint
bis zu den Hüften, in das nichts weiter als Schmerz,
Titanschmerz fallen kann“, dann ist gleichzeitig
von der Freiheit des Gehens überhaupt die Rede,
von der Wahl der Richtung(en), der Möglichkeit
von Bewegung im Leben.
Im Blick der von Schmerzen geplagten Ich-Erzählerin
zeigen sich Risse in der Insel-Idylle: ein brutal hingemeuchelter
Hund, von Maden zersetzt, steht für Gewalt und
für Schrecken, die vor dem Urlaubsparadies nicht
Halt machen. Das Außen gerät zur Spiegelung
ihres Inneren, wenn sie „Bäume mit versengten
Häuten und Herzen“ sieht, „dazwischen
verkohlte Zacken, [...] Grabsteine, Denkmäler.“
Einsamkeit wird spürbar, Sehnsucht nach etwas
Unbestimmten, „das werden hätte können,
sein hätte müssen.“ Dennoch: Sie ist
aufgebrochen – obwohl und gerade weil das Gehen
ihr so schwer fällt. Und sie ist alleine aufgebrochen.
Wie alle Frauen Balàkas. Egal, wie gehetzt sie
sind, wie verängstigt oder verletzt.
So auch Carla in der Titelgeschichte. Sie fährt
mit ihrem Lebensgefährten Bus. Er steigt aus.
Sie bleibt einfach sitzen. So gerät sie an einen
neuen Ort, in ein anderes Leben, geht fort, indem sie
nicht mehr mitgeht. Doch gerät sie auch unter
die „Jäger“. Lief sie schon in der
Stadt mit „hochgezogenen Angst-Schultern“ herum,
so ist sie hier, auf dem Land, zum Abschuss freigegeben.
Da sie sich nicht dem Schutz des einen – Jägers,
Mannes – unterwirft, wird Carla, die darauf besteht,
allein zu sein, zur potenziellen Beute aller. Gefährlich
ist das allemal, da sollte sie „lieber zu Hause
bleiben, besonders in der Dämmerung, oder mittags,
oder nachts, denn man weiß nie, wann der nächste
Schuß fällt.“
Immer sind es Geschichten von eigenständigen Frauen,
doch immer werden ihre Begrenzungen und Schranken sichtbar – etwa
wenn die alleinerziehende Mutter in die fürsorgenden
Fänge des Staates gerät, der sie als „Selbstmordversucherin“ abstempelt.
In den sieben Erzählungen verwebt die Autorin
ihre zentralen Themen miteinander: die vergebliche
Suche nach der Erinnerung, die Sehnsucht nach „Jemandem“,
der Körper als unhintergehbarer Erfahrungsort.
Leicht und oft surreal wirkt Balàkas Erzählweise,
mit der sie sehr konkrete brutale Gewalterfahrungen
und Verletzungen beschreibt. Eine irritierende Verbindung,
aus der ihr sehr eigener Tonfall erwächst. Den
sezierenden Blick mit einer poetischen Sprache zu verbinden,
ist ihre hohe Kunst. „Wäre da nur jemand.
Jemand, der Vertrauen hat zu seiner Schlafstätte,
der sich fragt, ob die Träume in das Bettzeug
sickern, in die Matratze, das Bett? Ob man sie mit
jedem Hineinlegen wieder einatmet, als Erinnerung,
fern und ewig gespeichert? Der sich solche Fragen stellt.“
Bernhard
Fetz in der Neuen Zürcher
Zeitung, 19. April 2003:
Gegen die Selbstverstümmelungen von Frauen,
die sich gemäss einem medial durchgesetzten
Schönheitsideal zurichten lassen, richtet sich
Bettina Balàkas polemischer Essay „Messer“ (1999): „Und
niemand kann oder will es sich dazudenken, das Bild
hinter den Bildern, auf dem die Frau aufgeschnitten
und blutig auf dem Chirurgentisch liegt.“ Um
Inszenierungen von Weiblichkeit und mögliche
Formen selbstbestimmter Entwürfe ging es auch
im Roman „Der lang angehaltene Atem“ (2000),
einem Patchwork aus Briefen, Reflexionen, Geschichten
zu den Themen Kunst, Liebe und Geschlecht.
Bettina Balàkas Metier ist die Erzählung.
Hier lassen sich Erzählmuster und Sprechweisen
durchspielen, konfrontieren, auch erproben, ob sie
zur Selbstvergewisserung von Frauen taugen; hier
lässt sich zudem zeigen, wie Ironie, Polemik
und Innerlichkeit zusammengehören. Die 1966
in Salzburg geborene und in Wien lebende Autorin
schreibt im Bewusstsein einer sprachlich artifiziellen,
polemischen Kritik, wie sie die Texte Elfriede Jelineks
repräsentieren, und Auge in Auge mit den publikumskompatibleren
Produkten der sogenannten Popliteratur. Dazwischen
sucht sie eigene Formen für Erfahrungen, die
weiter reichen als die Selbstbezüglichkeit vieler
aktueller, „schneller“ Texte. Sehr viel
verhaltener als im Essay und stringenter als im Roman
geht es im mittlerweile dritten Band mit Erzählungen
in sieben Geschichten um sieben Frauen.
Am besten sind die Geschichten dort, wo sie ganz
sachte aus der Normalität kippen: Ein Paar,
das die Euphorie des Anfangs hinter sich hat, sieht
sich vor die paardynamisch wichtige Aufgabe gestellt,
die Wochenenden mit Aktivität zu füllen.
Ob sie sich vielleicht nicht einmal berühren
könnten, anstatt ruhelos die Gegenden zu durchstreifen,
will die Frau wissen. „Ein andermal, heute
nicht“, antwortet Hannibal, der Mann und Feldherr,
der auf seinem langen Marsch über die Alpen
in Pantoffeln stecken geblieben ist. Das Paar fährt
in eine abgelegene Waldgegend; als sie uneins darüber
sind, an welcher Haltestelle der Bus verlassen werden
muss, steigt die Frau einfach aus und befindet sich – „unter
Jägern“. Sie nimmt sich ein Zimmer und
bleibt, alleine die Wälder durchstreifend: „So
also war ihr Hannibal abhanden gekommen, aber der
Tag nahm keinen schlechten Anfang.“
Der Kipppunkt der Titelerzählung ist nicht leicht
zu finden. Es geht schleichend, und das liegt an
der Sprache. Sie ist tastend poetisch, ironisch-lakonisch,
bald hermetischer, bald einladender. Raum und Zeit
sind stets unbestimmt, wenn auch nicht gänzlich
unvertraut. Dabei wird in allen Erzählungen
ein Thema variiert: Frauen finden sich in mehr oder
weniger verschobenen alltäglichen Situationen
wieder, erfahren sie neu, anders, intensiver. Wie
Carla in „Unter Jägern“ den Wald,
der etwas Bedrohliches und etwas Befreiendes zugleich
hat, dafür sorgt das ironisch gewendete Jägerlatein
in der Erzählung. Die Männer bewegen sich
am Rande des Blickfeldes. Sie sind keineswegs monströse
Wesen, sie werden herbeigewünscht und sind doch
wieder die alltäglichen Durchschnittstyrannen,
von der Schwiegermutter gegen die Nebenbuhlerin aufgehetzt,
träge in der Sonne liegend, wo weiblicher Erfahrungshunger
das Weite sucht.
Wenn es einmal der aktivitätssuchende Hannibal
ist, der die Frau schliesslich vertreibt, ist es
in „Die Ruine, das Tor, der Schlüssel
und das Schloss“ die Trägheit des Freundes,
wodurch das Desinteresse an weiblichen Bedürfnissen
ausgedrückt wird. Ein harmloser Ausflug endet
im Stile der düsteren „gothic novels“.
Was die Erzählerin befürchtet, passiert
auch: Die Freunde werden von einem hünenhaften
Burgführer in einem finsteren Verlies eingeschlossen.
Zurück bleibt allein wieder die Frau.
Es ist nicht immer einfach, einen Leseeinstieg zu
finden. Die Erzählungen fordern genaues Lesen, überstrapazieren
den Schwebezustand, den sie herbeiführen wollen,
auch manchmal durch zu forcierte sprachliche Bemühungen.
So spielen Träume, Surreales oft eine Rolle.
Der erste Satz der ersten Erzählung im Band
lautet: „Barbara erwacht in einer chopinblauen
Suppe.“ Jeden Tag erwacht Barbara in einer
neuen Umgebung. Vielleicht weigert sie sich einfach,
aufzustehen, das Alltägliche zu tun. Stattdessen
vollführt sie kleine Bettfluchten, die sie nach
innen führen. Was schliesslich bleibt, ist die
Gewissheit des eigenen Körpers.
Regression und Ausbruch liegen eng beieinander. Dies
sprachlich und inhaltlich in der Schwebe zu halten,
gelingt nicht immer. Dabei ist das Risiko in den
sogenannten poetischen Erzählungen grösser
als in den eher schnelleren, von einem ironischen
Grundton getragenen. Da kommen zu viele verlassene
Räume, zu viele Telefone vor, deren Klingeln
unbeantwortet verhallt. Da ist es zu offensichtlich
kalt und unbehaust.
Die Erzählung „Weg auf Steinen“ handelt
von einer nicht mehr jungen Frau, die nochmals Kreta-Ferien
unternimmt, bevor sie sich einer schweren Hüftoperation
unterzieht. Man kann dies als Metapher auf den mühsamen,
selbstbestimmten weiblichen Gang lesen, man muss
aber nicht. Wichtiger ist die Konzentration auf das „Sehen,
berühren“, auf die Registratur von Wahrnehmungen.
Das schliesst das aggressive Pamphlet jedoch nicht
aus. In „Als ich Mutter wurde“ geht es
um eine Frau, der von den staatlichen Instanzen in
terroristischen Akten der vermeintlichen Fürsorge
das Kind weggenommen wird, ohne Rücksicht auf
ihre berufliche und private Situation, ohne Rücksicht
darauf, dass sie ihr Leben eigentlich im Griff hätte.
In ihren besten Momenten bewegen sich die Erzählungen
Bettina Balàkas auf jener Linie, die zwischen
der Normalität, die sie ständig abrufen,
vor der sie sich entfalten, und der Entrückung
beziehungsweise dem Ausbruch hindurchführt.
Sabine
Treude im Mostviertel-Basar Nr. 103, 8. April 2003:
Unter Jägern – heißt das neue Buch
der jungen österreichischen Autorin Bettina
Balàka. Es versammelt sieben Erzählungen,
in denen das Alltägliche und das Sonderbare
bis hin zum Skurrilen aufeinandertreffen. In allen
Erzählungen geht es um Frauen an einem teilweise
herbeigesehnten und gefürchteten Wendepunkt
und darum, die daraus erwachsenen Brüchigkeiten
zu erzählen. Neben den Bruch- und Schnittstellen
liegt das, was das Buch darüber hinaus so besonders
lesens- und empfehlenswert macht, in einer Sprache
begründet, die, die Inhalte subtil begleitend,
stets auf dem Sprung zu sein scheint, vorauszueilen
und gleichzeitig innezuhalten. Balàkas Sprache
verleiht den eh schon seltsam anmutenden Geschehnissen,
denen sich die Protagonistinnen ausgesetzt sehen
oder aussetzen, durch ihre spielerische Präzision
und Sorgfältigkeit im Detail einen zusätzlichen
Schwung ins Unheimliche.
Allerdings ist das Unheimliche selten dort auszumachen,
wo es vermutet wird, sondern entpuppt sich als fester
Bestandteil des Alltäglichen selbst.
Helga
Pankratz im WeiberDiwan, Frühjahr 2003:
Barbara, die keine Spuren in der Welt hinterlässt
und schon viele Tage jeweils vom einen zum nächsten
Tag/Mann/Haus gelebt hat. Karin, die jung ist und
frisch verliebt die stille Zeit der Zwischensaison
in einer stark vom Tourismus geprägten Region
auskostet. Carla, die beim Sonntagsausflug aus der
Zweierkiste herausfällt wie ein Vogel aus dem
Nest und sich in der Folge als flügge erweist:
in ihren großteils zwischen 1998 und 2002 in
Literaturzeitschriften bereits einzeln veröffentlichten
Kleinoden der Erzählkunst beschreibt Bettina
Balàka vor allem das Gehen, das Ergehen von
Frauen. Sie schildert die Räume, durch die ihre
Protagonistinnen sich bewegen mit der ihr eigenen
Stil- und Zielsicherheit: „walking, walking,
die Bäume, die Büsche, das Gras.“
Besonders deutlich tritt dieses Motiv in „Weg
auf Steinen“ hervor, der längsten der
sieben Geschichten. Eine Urlauberin auf Kreta wandert
hier ganz intensiv, um ihre – noch – vorhandene
Beweglichkeit bis an die Schmerzgrenze zu genießen.
Ein wenig anders präsentierten sich die drei übrigen
Geschichten: zutiefst feministisch die Zitate-Collage „Als
ich Mutter wurde“, und ein bisschen gruselig
die beiden letzten. Der gediegenen Sprache Balàkas
wegen aber sind auch diese vor allem anderen (wunder)schön
gruselig.
Helmut Wolfgang in den
Salzburger Nachrichten, 4. Jänner 2003:
In den neuen Erzählungen der Salzburger Autorin
Bettina Balàka geht es um Frauen ohne Männer.
In den sieben bisher großteils in Literaturzeitschriften
veröffentlichten Geschichten spielen Männer
bestenfalls Nebenrollen. Sie kommen in der Erinnerung
vor oder als Staffage. Häufig geht von ihnen
eine unbestimmte Bedrohung aus wie in der Titelgeschichte.
Carla verliert bei einem Ausflug ihren Begleiter
aus den Augen, der Bus
bringt sie an einen abgeschiedenen Ort. Dort gibt
es keine Schonzeit, für
das Wild ebensowenig wie für die Frauen. "So
aber sollten Sie lieber zu
Hause bleiben, besonders in der Dämmerung, oder
mittags, oder nachts, denn man weiß nie, wann
der nächste Schuss fällt", warnt sie
der Oberjäger. Wie in früheren Texten geht
es Balàka weniger um das Erzählen von
Geschichten, sondern um die Beschreibung von Zuständen
und Befindlichkeiten. Die Autorin spinnt komplexe
Gewebe aus Eindrücken, Erinnerungen, Wünschen
und Ängsten - kombiniert mit scharfer Beobachtung
und sprachlicher Analyse.
Nur vereinzelt sind wie zufällig auch Handlungssplitter
eingeflochten.
Eine Frau erwacht jeden Morgen in einer anderen Wohnung
und macht die
Erfahrung, "was bleibt, ist der eigenen Körper".
Eine andere Frau verbringt allein einen Urlaub auf
Kreta, bevor sie sich einer riskanten Hüftoperation
unterzieht. Sie wollte noch einmal auf schwierigen
Wegen gehen. Aufmerksame Beobachtungen von Landschaft
und Menschen, Einheimischen und Mittouristen, Gedanken übers
Alleinsein: ("Wenn man allein ist, wie viel
man da mit Verkäuferinnen und Kellnern, mit
Restaurantbesitzern und Ladenbesitzerinnen bespricht").
Eine junge Mutter erlebt die staatliche Fürsorge
und Betreuung nach der
Geburt ihres Kindes als totale Vereinnahmung. Die
Einflussnahme geht auch nachts weiter: "Wenn
das Kind ganz tief schlief, kamen die Privatstimmen,
die Stimmen des Volkes und der Nachbarn, die Stammtischstimmen
und die Straßenstimmungen, die besseren Meinungen
und die genauen Gerüchte. Der Staat von innen
heraus". Die beiden letzten Geschichten des
Bandes verraten eine Faszination für spannungsgeladene
Erzählungen im Stil eines H. G. Lovecraft.
Wie in früheren Werken der Autorin ist auch
hier die Sprache die eigentliche Protagonistin in
einer meist als lebensfeindlich erlebten Umwelt.
Balàka vermeidet ausgetretene Sprachrouten,
bahnt sich lieber Wege durch das wortreichere Unterholz.
Marin Reiterer in Buchkultur Sonderheft Buchwoche
2002:
Mit subtiler Ironie und poetischer Kraft schafft
Balàka Raum für Wahrnehmungen und Selbstwahrnehmungen
ihrer Frauenfiguren.
Jutta Kleedorfer in bn.bibliotheksnachrichten 4/2002:
Das dem Erzählband vorangestellte Motto "At
night, alone, I marry my bed" weist schon auf
das durchgehende Leitmotiv des Allein-Seins, des
Allein-gelassen-Werdens, aber auch auf die Chance
des Allein-Bestimmens hin. In sieben kurzen Geschichten
begegnet man Frauen, die sich in Grenzsituationen
befinden, die ein eigenständiges Reagieren not-wendig
machen - im wahrsten Sinn des Wortes.
Eine Frau verbringt vor einer Hüftoperation
Ferien auf Kreta und reist, sich und die fremde Umgebung
genau registrierend, über die Insel. Eine andere
bricht aus der Stadt und dem Ehealltag aus und befindet
sich unversehens mitten in der Idylle des Landlebens "unter
Jägern". Eine andere namens Barbara verbringt
ganz unspektakulär einen Tag allein mit sich
in ihrem Zuhause und alles wird fremd. Eine alleinerziehende
Mutter gerät in die Zwänge des modernen
Sozialstaats, dessen "Segnungen" zu einem
Fluch für Mutter und Kind werden. Aus einem
Sicherheitsnetz wird eine Zwangsjacke, aus einer
gemütlichen Ehe wird ein Fangnetz von Ritualen,
Alltagshandlungen und Gewohnheiten werden in ihren
tradierten Formen plötzlich brüchig und
führen - wie in der letzten Erzählung -
bildlich gesprochen in den seelischen Hungerturm
oder ins geistige Verlies.
Sieben Frauen erleben aus sieben unterschiedlichen
Perspektiven und Situationen die gesellschaftlichen
Grenzziehungen, nehmen diese aber als Möglichkeiten
eines Aufbruchs zu neuen Ufern wahr. Sie erleben
eine Bewusstseinsveränderung insofern, als dass
es ihnen zumindest ansatzweise gelingt, aufgezwungene
Lasten und Verpflichtungen abzuschütteln, traditionelle
Rollenklischees abzustreifen und neue Lebensperspektiven
zu gewinnen. Diese persönlichen Veränderungen
werden sorgfältig und genau registriert und
in einer fast minutiös gestalteten, radikal
die Dinge beim Namen nennenden Sprache beschrieben.
Die Distanz und Kühle der Erzählerin gegenüber
ihren Figuren lässt dem Leser Raum für
eigene Empfindungen und Überlegungen, das bedeutet
aber auch, dass diese Erzählungen keine leicht
zu konsumierende Lektüre sind, sondern mit jedem
Satz eine Herausforderung an die Bereitschaft des
Lesers, sich einzulassen, mitzufühlen und mitzudenken,
darstellen.
Hubert Lengauer in kolik 20/2002:
"Barbara erwacht in einer chopinblauen Suppe",
so beginnt die erste Erzählung dieser Sammlung,
aber der Satz könnte programmatisch für
den ganzen Band stehen. In allen Erzählungen
rührt Bettina Balàka solche "Textsuppen" an,
das ist gar nicht despektierlich gesagt, wie denn überhaupt
die Herstellung guter, nahrhafter Suppen eine schöne
Kunst ist. Man könnte es freilich auch nobler, ätherischer
ausdrücken: Bettina Balàka versteht es,
Schwebezustände herzustellen, in denen die üblichen
Ordnungen der Erzählung, die Kategorien von
Raum und Zeit, aufgehoben sind oder weitgehend zurücktreten.
In diesen "Suppen" bewegen sich die "alleinstehenden" Frauen
(wie man üblicherweise sagen würde) als
allein schwimmende, rudernde, auf- und untertauchende,
nicht immer in aufrechter Position befindliche (darauf
verweist das Motto der Erzählungen: "At
night, alone, I marry the bed", von Anne Sexton).
Freilich braucht diese Form der Erzählung den
breiten Hintergrund des Normal-Erzählens, und
was den Leser vorwärts treibt, ist nicht zuletzt
die Suche nach den Tröstungen der Normalität,
eben jener vertrauten Kategorien des Neben- und Nacheinander,
des "Es war einmal, und dann ..." usw.,
wie es uns als Grundmuster in die literarischen Kinderstuben
geleuchtet hat. Die Normalität ist aber nicht
immer tröstlich, das muß eine Frau "Carla" erfahren,
die ihrem Mann "Hannibal" ("nachdem
sie sich zusammengeliebt hatten und er in einen ekstatischen
Rausch der Gleichgültigkeit verfallen war")
auf einem Wochenendausflug entkommt, aber mehr vom
Regen in die Traufe, sie findet sich in einem Dorf
wieder und "unter Jägern", die sich
um sie (als eine Art herrenloses Gut) Sorgen machen.
Nein, es passiert schon nichts, die Erzählung
bleibt offen, nur im Märchen brechen sich Frauen,
die selber die Jagd betreiben, das Genick und reiten
dann bei der Wilden Jagd mit. In der Wirklichkeit
haben die Jäger einen besseren Ruf als in der
Literatur (man denke an Th. Bernhards "Auslöschung"!),
und die Jägerinnen werden, Gott sei Dank, ORF-Generaldirektorinnen
oder leiten eine Jagdhornbläserinnengruppe wie
Frau Claudia Haider. Hier, in der Erzählung,
ist es aber anders, das schwebende Verfahren zwischen
Frauen und Männern verfestigt sich nicht in
Verhältnissen, die Frau Carla bleibt am Leben
und am Sinnieren, die Sorgen der Jäger bleiben
besorgniserregend. Nicht immer freilich bleibt Bettina
Balàka gruselig (so wie hier oder in "Die
Ruine, das Tor, der Schlüssel und das Schloß",
wo Leute in düstren Verliesen verschwinden),
sie kann das Gruselige auch auf der bürokratischen
Ebene der "alleinerziehenden Mutter" und
ihrem Umgang mit den Behörden auffinden und
als lästigen Übermut der Ämter beschreiben
("Als ich Mutter wurde"). Wenn bei einigen
Erzählungen der Antrieb zur "schwebenden", "suppigen" Form
im Versuch der Darstellung neuer, anderer Erfahrungen
besteht, im Versuch eben, neu zu sehen, zu hören,
zu schmecken (in "Weg auf Steinen" verändert
eine bevorstehende Hüftoperation die Wahrnehmung
der Kretareisenden), wird das zur handfesten satirischen
Aggression. Man soll sie nicht unterschätzen,
die Frau, die hier mit ihren Frauenfiguren zu Werke
geht: Sie kann so, sie kann aber auch anders, ihre
sprachliche Reichweite und ihre Wandlungsfähigkeit
imponieren.
http://www.literaturhaus.at/buch/buch/rez/balakaunterjaegern/
treffpunkt,
Das Büchermagazin von Morawa & Styria,
Herbst 2002:
Bettina Balàka stellt in ihrem neuen Erzählband
das Leben jüngerer Frauen abseits aller Klischees
dar, auch abseits aller feministischen Gemeinplätze.
Ihr Blick ist manchmal wütend (etwa in der Erzählung über
eine junge Mutter, die in die Mühlen der Fürsorge
gerät), manchmal detailgenau diagnostizierend,
und über vielen der Geschichten liegt eine Beklemmung,
die schwer greifbar zu machen ist.
Evelyne Polt-Heinzl in Die Presse, 17. August 2002:
Klappentexte sind verlegerischen
Werbeinteressen untertan, und markige Schlagwörter müssen
nicht immer ganz genau dem Buchinhalt entsprechen.
Im Fall von Bettina Balàkas neuem Erzählband "Unter
Jägern" scheint aber doch eher eine Verwechslung
vorzuliegen. Es seien Geschichten von Frauen, die
ihr Leben meistern, und "fast immer geht es
gut aus", heißt es da. Die Geschichten,
die im Buch stehen, tun das - vielleicht mit Ausnahme
der leisen Liebesgeschichte "Sehen, berühren" -
eigentlich nie. Oder steckt Kalkül dahinter,
weil sich heute nur Geschichten mit Happy-End verkaufen?
Dann ist der Trick vielleicht gar nicht so schlecht,
denn Balàkas Erzählungen, die meist zwischen
1998 und 2002 in Literaturzeitschriften erschienen
sind, verdienen, Leser zu finden. Balàkas
Ton ist verhalten und beunruhigend zugleich, die
Sprache sparsam, mitunter auch lyrisch, keinesfalls
martialisch, wie der Titel vermuten läßt.
Wie meist ist auch der Auftakt
der Titelgeschichte ganz alltäglich. Ein durchschnittliches Paar,
einst hat man sich "zusammengeliebt", nun
gilt es, die Wochenenden "sinnvoll" zu
füllen. Man kann die Museen der Umgebung aufsuchen
oder Wanderungen "erbringen", die er -
mit Namen Hannibal - "nach Wegzeiten und Wegstrecken" bemißt.
Die Differenzen liegen also offen, bei einem Herbstwochenendausflug
passiert es dann: Uneinigkeit über die Strategien,
wo es den ländlichen Bus zu verlassen gilt,
und wie zufällig verliert man sich. Carla fährt
einfach weiter und landet in einem winzigen Bergdorf.
Erstaunlich gelassen richtet sie sich da ein, zweifellos
ist sie mit dem Ortswechsel nicht nur der Stadt entkommen.
Nur für die örtlichen Jäger stellen
ihre Spaziergänge ein Problem dar. Deshalb,
so der Oberjäger, wäre es gut, wenn ihr
Mann käme. Der könnte Jäger werden,
dann wüßte er immer die Zeiten und könnte
Carla sagen, wann sie zu Hause bleiben soll, denn "man
weiß nie, wann der nächste Schuß fällt".
Die Jäger sind keineswegs bösartig oder
gemein gezeichnet, die Metaphern der Jagdsprache,
mit der Carla ihre Situation analysiert, haben allenfalls
einen leisen, bedrohlichen Unterton. Es ist ein unaufgeregter
Bericht über Rollback-Strategien in Sachen Frauenbewegung.
Die Erzählhaltung ist distanziert, ironisch
und in eine nächtige Atmosphäre getaucht,
so selbstverständlich wird das Fremde und Absurde
normalerweise nur im Traum hingenommen.
Ein Hauch von Surrealem liegt über den meisten
der Geschichten. "Barbara erwacht" ist
ein Bericht von einer Frau,
der jede Lebenskontinuität und Verankerung abhanden
gekommen ist. Jeden Tag erwacht sie in einer anderen
Realität, in einer anderen Umgebung. "Was
bleibt, ist der eigene Körper", ist der
repetitiv wiederholte Satz. Unausgesprochen ist da
eine stringente Analyse aktueller Befindlichkeit
hineinverpackt: Der eigene Körper gewährt
eine gewisse sinnliche Sicherheit in einer immer
abstrakteren Welt. Dort, wo Erfahrungen aus zweiter
Hand dominieren, wird der Körper zu einem letzten
Hort der Authentizität und Selbstvergewisserung,
dem in Fitneßcentern und Ayuvedastudios kultische
Aufmerksamkeit zukommt.
Surreal endet auch die letzte Erzählung des
Bandes, "Die Ruine, das Tor, der Schlüssel
und das Schloß". So unzeitgemäß wie
der Titel ist auch das Ende der Geschichte. Was als
harmloser, unlustig unternommener Urlaubsausflug
in der Schwüle der Hundstage begann, endet für
die beiden Paare im Verlies der eben besichtigten
Burg. Wie selbstverständlich und der einzig
möglichen Logik folgend, sperrt der geheimnisvolle
Führer das seit Jahrhunderten bruchfeste Tor
hinter ihnen zu.
Sehr diesseitig, wenn auch voll dichter Todessymbolik,
hingegen die Prosaskizze "Weg auf Steinen",
eine Art sinnliches Tagebuch eines Kreta-Urlaubs. "Ich
war nie verwegen, so sind meine Wege vergangen",
und daher sucht die Ich-Erzählerin nun nach
einer besonderen Intensität des Sehens und
Wahrnehmens in der fremden Umgebung. Wie alle Geschichten
des Bandes schreiben die detailreichen Beobachtungen
auch an gegen die Phantasielosigkeit von Sprachstereotypen,
wo "besonders kunstvoll gewachsene Bäume" stets "verkrüppelt" heißen.