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Porträts

Tanja Dückers in neue deutsche literatur Nr. 4/03:

Wut & Poesie
Die vielschichtigen Texte der Wiener Autorin Bettina Balàka

Kaum hat heutzutage ein junger Autor ein, zwei Bücher veröffentlicht, wird er schon von übereifrigen Rezensenten als „begabter Lyriker“, als „genau beobachtender Essayist“ oder als „gesellschaftliche Konditionen präzise auslotender Romancier“ gepriesen. Hinter allem Lob fällt es dem Opfer wohlgemeinter Kompliment-Etiketten schwer zu erkennen, daß er, kaum hat er die literarische Bühne betreten, schon einem einzigen Genre auf Gedeih und Verderb zugeordnet wird. Daß ein Autor mehrere Schreibweisen gleichermaßen zur Komplettierung seines Ausdrucksbedürfnisses benötigen, gleichermaßen in ihnen brillieren kann, verwirrt Leserschaft wie Rezensenten oft.
Bettina Balàka, in Österreich längst eine der bekanntesten, mit so gut wie allen Preisen ausgezeichnete Autorin der jüngeren Generation, hat Romane geschrieben („Der langangehaltene Atem“, 2000), Erzählungen (zuletzt „Unter Jägern“, 2002), Gedichte (zuletzt „Dissoziationen. Gedichte aus Pflanzen und Vögeln“, 2002), Theaterstücke (zuletzt „Zu dünn, zu reich“, 2001), Hörspiele (u.a. „Wie ich Mutter wurde“, 2002) und Essays („Messer“, 2000). Fast hat man den Eindruck, daß die Autorin von ihren Themen so besessen ist, daß sie sich ihnen in unerbittlichem Forscherdrang auf immer neue Weise annähern muß, um sie von einem minimal veränderten Blickwinkel zu betrachten und zu analysieren.
Balàkas vornehmlich weibliches Personal kämpft um Selbstfindung, um Freiheit, um Orientierung, um Überwindung von Einsamkeit, gegen aufgezwungene Zweisamkeit, gegen diffuse gesellschaftliche Kontrollen und konkrete private Zwänge. So unterschiedlich ihre Figuren sind, die in Gestalt von orientierungslosen Touristinnen, zähen Ehegattinnen, in sich gekehrten Hausfrauen oder mutigen Müttern durch ihre Prosa-Werke wandern, sich verwandeln in Trollblumen, Saatkrähen, Türkentauben, Vogelkirschen und Steppenhexen in ihrer Poesie, immer sind es unruhige und beunruhigte Geister, denen gemeinsam ist, daß sie in ihren jeweiligen personalen oder naturalen Kontext nicht integriert sind. Immer findet ein Aufbruch statt: rein organisch, nur gedanklich oder in Form einer konkreten Flucht. Balàkas Texte – um einen genreneutralen Begriff zu verwenden – sind von dem Wunsch nach Veränderung und Metamorphose gekennzeichnet. Doch immer ist schon vor dem Antrittspfeifen, vor jedem inneren oder äußeren Standortwechsel ein Gefühl von Verlust und Melancholie bestimmend. Das Besondere an ihren Figuren ist, ob in prosaischen oder poetischen Zusammenhang (oder im Duktus ihrer Essayistik), daß sie tatendurstig und resigniert sind. Sie handeln, als wären sie von ihrer Befreiung, der Möglichkeit von Liebe, von gelungenen Kampf gegen fremde, abstrakte Mächte überzeugt, doch sie sind es nicht. Etwas von einer „messianischen Hoffnung“ (Walter Benjamin) erfüllt diese von düsterer Wut heimgesuchten (Frauen-)Figuren. Weder passive Weltflucht noch vitalistisch-zukunftsorientiertes Kämpfertum teilt sich in den Texten Balákas mit; hier herrscht reflektiertes, „aktives“ Fliehen und entschlossenes, selbst-bewußtes Scheitern vor.
Für gewöhnlich benutzt Balàka eine phantasievolle, bilderreiche Sprache, aber sie kann auch – in erstaunlicher Versatilität – plötzlich einen gänzlich anderen Tonfall anschlagen: In ihrem in Österreich vielbeachteten Essay „Messer“ setzt sie sich mit der steigenden Popularität schönheitschirurgischer Eingriffe auseinander und verwendet virtuos die für eine Polemik unverzichtbaren Ingredienzen von Knappheit, Provokation, Verwendung von Reizwörtern und dynamischer Pointiertheit. Hier gibt sich die Autorin zwar scharfzüngig und direkt, doch der grundlegende Pessimismus ihres Textes, der in der ironischen Aussage gipfelt, daß die Frauen eigentlich vor dem umfassenden Erfolg der Kosmetikindustrie und der kollektiven Internalisierung von Schönheitsnormen ergebenst einen Kniefall machen sollten, „[...] dieser umfassende Gesamtsieg des Patriarchats nach hundert mühsamen Jahren der Frauenbewegung, den angeblich niemand bemerkt hat, [...] ist so beeindruckend und überwältigend, daß man nur in einen tiefen Hofknicks sinken kann“, erinnert doch wieder an die „stürmische Melancholie“ ihrer Prosa und Lyrik.
Hier findet kein munterer 70er-Jahre-Parolen-Feminismus mehr statt, hier wird eine ebenso beredte wie nüchterne Bestandaufnahme gemacht – allerdings mit dem „blinden Flecken“ in der Wahrnehmung, daß auch Männer zunehmend unter genau diesen Normen und Zwängen leiden.
In ihrer Prosa und Lyrik verwendet Balàka wiederum eine ganz anderes sprachliches Instrumentarium; ihre sensible Imagination überträgt die Autorin an ihre bisweilen entrückt erscheinenden Protagonistinnen: Da ist Karin, ein schüchternes Mädchen, das seine Matura bei den Ursulinenschwestern macht und deren Moral übernommen hat. Bis Andreas in ihr Leben tritt – Andreas, der jedoch die meiste Zeit über unerreichbar ist, den Karin erst langsam für sich gewinnen muß, der ihr Seiten abverlangt, die ihr neu und fremd sind. Karin beschreibt ihre Annäherung an Andreas wie eine via dolores, einen Weg durch „dreißig Tore“, „hohe steinerne Tore, wie vor einem Tempel, der im indischen Dschungel versank. Auf dem ersten saßen die Affen (...), auf dem zweiten die Geier (...) Dann kam das Tor, von dem es regnete, in kalten Wasserfällen oder in schwefeligen Dämpfen (...) das eingewachsene Tor, ohne Schlösser, Spalten und Scharniere, das Tor, das hochgeschossen war wie Zauberbohnenkraut. Es gab Attacken von Insekten, von Schwertern, von Pech. Irgendwann schließlich kam das Tor, das geschmückt war mit den Reliefs der erotischsten Dinge, alle Siegel und Geheimnisse waren dargestellt, die Körper und ihre Verbindungen, die Möglichkeiten und der ganze Weg, sie schienen so nah und verständlich, sie blieben unerreichbar und immer aus Stein. Dann, nachdem Karin ein paarmal mit Andreas geschlafen hatte, bemerkte sie, daß etwas anders war (...)“
Man spürt den Versuch der Autorin, diesen im Leben verlorengegangenen Figuren im Text selbst ein schillerndes Zuhause, eine mit dem Schmuck ihrer zahlreichen Wort-Neuschöpfungen ausgestattete ästhetische Heimat zu geben. In ihrer unalltäglichen, bewußt artifiziellen Sprache bereitet Balàka ihren Figuren, über die sie mit distanziertem Stolz, kühl, aber respektvoll, als wären sie ferne Kolleginnen, schreibt, ein luftiges Zuhause in der Kunst – dort eigentlich erst sind diese ziellosen Aufbruchsgeister angekommen, dort verwurzelt, diese Wesen, die nicht über verlorengegangene Paradiese klagen, sondern darüber, nie eines außerhalb ihrer Vorstellungskraft besessen zu haben.
Wenn Baláka etwas nicht tut, dann ist es, leicht verständliche Alltagsprosa zu schreiben. Ihre zwar im Sujet sehr zeitgemäßen Texte, die, auch wenn sie solche Namen nicht nennen, doch von „patchwork-Familien“, „Singles“ und „Lebensabschnittspartner“ sprechen, irritieren im guten Sinne durch den gewaltigen sprachlichen Pomp, den dem Leser nonchalant serviert wird: Bei Balàka wird „chopinblaue“ Suppe gelöffelt, wird ein Windstoß als „Teufel“ beschrieben, als „schwarzer Schatten, der Menschen verschlang“. Bei Balàka treten die Worte alle im Festtagskostüm an; der die Bequemlichkeit nicht zu sehr liebende Leser wird sich an ihren Neuschöpfungen delektieren, hier herrscht nicht Freude am Spiel in Jandl-Manier vor, hier werden keine Fingerübungen getätigt, hier hält jemand die Worte wie Kristall vor die Sonne, um die Farben jedesmal in einem anderem Licht leuchten zu sehen. Doch manchmal übertreibt Baláka, gelegentlich wird redundantes Wortgeklingel sichtbar („in der sicheren Entfernung / schützt eine Windjacke / vor der Windhose nicht“), („verführt niemals verfrüht“). Nicht jeder Parallelismus, jede Anapher, jede bewußte Repetierung erscheint originell oder inhaltlich gestützt. Zu leicht, zu zufällig wird aus „Atem“ gleich „Drachenatem“, aus einer Matratze ein „Matratzenteig“. Manchmal wäre weniger mehr gewesen. Bisweilen spürt man zu sehr den Ernst und die Ambitioniertheit der Autorin, die sich vorgenommen hat, ein Buch zu schreiben, wie noch keines geschrieben wurde. Dennoch hat dieser Gestus, den sonst eher männliche Autoren bemühen, in seiner Unbedingtheit und der schlichten Könnerschaft der Autorin, der man anmerkt, daß nicht nur Talent, sondern auch Durchhaltevermögen und Disziplin sie weit gebracht haben, etwas Bestechendes und Faszinierendes. Man spürt, hier schreibt jemand nicht ein, zwei, drei modische und raffinierte Bücher, sondern hier hat jemand ein Lebensthema, hier arbeitet jemand unermüdlich an seinem Lebenswerk.


Helmut Kretzl in der Wiener Zeitung, 21. April 2000:

Die 34-jährige Bettina Balàka gilt als eine der interessantesten jüngeren Autorinnen Österreichs. Nach diversen Auslandsaufenthalten und einem Dolmetschstudium lebt die gebürtige Salzburgerin heute mit ihrer kleinen Tochter Pia als freie Schriftstellerin in Wien. Sie erhielt zahlreiche Preise und Stipendien (darunter der Ö1-Essay-Preis 1999, der Meta-Merz-Preis 1999, der Förderungspreis der Stadt Wien 1997, der Alfred Gesswein-Literaturpreis für Lyrik 1991 und der Rauriser Förderungspreis 1992).

Die Wohnung der Schriftstellerin Bettina Balàka im 8. Wiener Bezirk ist freundlich eingerichtet. Reisemitbringsel verströmen Fernweh. Bücher stehen brav in den Regalen, dazwischen fein säuberlich geordnete Behälter mit Papieren und Texten. Durchorganisierte Systematik statt kreativ-chaotisches Durcheinander. Überall Babyutensilien: Fläschchen, Spielzeug, frische Windeln auf Haufen gestapelt. Auf einem Tisch in der Mitte des Raumes steht das Zentrum ihres Universums, der Computer.

Während Kinder ihrer Altersgruppe noch Berufswünschen wie Polizist, Astronaut oder Krankenschwester anhingen, war zumindest diese Frage für die kleine Bettina Balàka kein Thema mehr: Schon im zarten Volksschulalter entschloss sie sich, Schriftstellerin zu werden. Erstmals aufgefallen ist ihr literarisches Talent, als die Lehrerin den Tafelklasslern das Schreiben eines Gedichts zur Hausübung aufgab. Super, das kann ich schon, habe ich gedacht. Daheim hatte ich schon etliche Gedichte in der Schublade, ich habe die besten herausgesucht, noch einige dazugeschrieben und die dann vorgetragen. Die Lehrerin war total entgeistert und bestellte sofort die Eltern in die Schule. Rückblickend wundere ich mich, dass meiner Mutter gar nicht aufgefallen ist, dass ihre klitzekleine Tochter da Gedichte schreibt. Das hat sie mir beigebracht, dann hat sie mich immer korrigiert - es war eine richtig harte Schule: Da passt der Reim nicht, dort ist die Metrik nicht in Ordnung. Erst meine Volksschullehrerin hat erkannt, wie ungewöhnlich es ist, wenn so ein kleines Kind solche Gedichte schreibt mit Reim und Metrik und allem. An dem Tag, als die Eltern hochoffiziell über ihre Begabung informiert wurden, "ging ich wie immer entlang einer Thujenhecke nach Hause, riss ein paar Zweiglein ab, zerkrümelte sie, roch daran, und fasste in diesem schönen Geruch den Entschluss, ‚Schriftstellerin zu werden'", schrieb sie einmal über sich selbst.

In der Mittelschule setzten sich die Erfolgserlebnisse fort: Einmal die Woche durfte Bettina in der Deutschstunde ihre Texte vorlesen. Für diesen Anlass schrieb sie einen Fortsetzungsroman über ein Mädchen, das durch eine Höhle im Wald in die Zeit der Dinosaurier gelangt und dort Abenteuer erlebt. Einmal war ich krank im Spital und die Deutschlehrerin hat mir die Briefe von den Mädchen aus der Klasse ans Krankenbett gebracht. In jedem Brief stand: Bettina, du fehlst uns so, weil wir die Fortsetzung der Geschichte nicht wissen, kannst du sie nicht vielleicht auf Tonband sprechen und uns schicken (lacht). Ich war irgendwie enttäuscht, dass ich nicht persönlich vermisst wurde, sondern nur meine Geschichte, andererseits war ich natürlich auch geschmeichelt, dass man von mir sogar am Krankenlager die nächste Fortsetzung erwartete.

Welche Bücher haben Balàka geprägt? Ein ganz wichtiges Buch ist "Wuthering Heights" von Emily Brontë, über das ich auch meine Diplomarbeit geschrieben habe. Das ist ein Roman, der bis ins kleinste Detail so sorgfältig ausgearbeitet ist wie ein Gedicht - ein hoher Anspruch, aber für mich war es das Vorbild: die große erzählerische Struktur zu kombinieren mit der Mikrostruktur, wo alles bis in die kleinste lexikalische Einheit durchkomponiert ist. Ich versuche auch, weibliche Vorbilder zu finden in der Literaturgeschichte, Vorläuferinnen, Pionierinnen. Interessanterweise gibt es da gerade in Österreich mit Marlen Haushofer oder Ingeborg Bachmann durchaus Frauen, die schon vor Elfriede Jelinek erste Schritte aus dem androzentrischen Weltbild hinaus gewagt haben.

Stark beeindruckt haben sie auch die englischsprachigen Autorinnen Sylvia Plath und Anne Sexton, weil diese Autorinnen es geschafft haben, in einer Zeit, wo es noch kaum üblich war, einen spezifisch weiblichen Blick in die Literatur hineinzubringen. Es gab in der Vergangenheit ja viele Autorinnen, die versucht haben zu verheimlichen, dass sie Frauen sind, das haben sie teilweise auch tun müssen und unter männlichen Pseudonymen geschrieben. Die Liebesgedichte der Anne Sexton etwa sind ganz klar aus einer Frauenperspektive geschrieben, in ihrer Körperwahrnehmung und der sinnlichen Wahrnehmung.

Als Leserin, die immer nur viele Bücher von Männern liest, wird man irgendwann einmal schizophren, denn der Held oder das lyrische Ich ist immer männlich. Unwillkürlich will man sich ja identifizieren mit dem Protagonisten und tut es auch. Da muss man aber dauernd die Kluft überspringen zum anderen Geschlecht und wird so geistig sozusagen zum Zwitter. Das fängt schon an bei der Jugendliteratur. Die jungen Genies, die alle Kriminalfälle lösen, sind meist männlich.

Bettina Balàka ist eine engagierte Kämpferin für die Rechte der Frauen. An deutschen Unis werden bereits erste Arbeiten über sie verfasst, als Beispiel für zeitgenössisches feministisches Schreiben. Wie denkt sie über sogenannte Frauenliteratur? Besteht da nicht auch die Gefahr der Eigenausgrenzung? Es stimmt, diese Ghettoliteratur will heute eigentlich niemand mehr, weder produzieren noch lesen. Man geht jetzt generell davon ab, sich auf das festzulegen, sogar der Wiener Frauenverlag hat seinen Namen geändert auf Milena Verlag. Es geht um gesellschaftliche Strukturen, die alle betreffen und alle Geschlechter, inklusive der Transsexuellen. Bei den Lesungen und Veranstaltungen sitzen immer sehr viele Männer im Publikum, die mitdiskutieren und die Bücher kaufen. Sie behaupten oft, sie kaufen das Buch für ihre Tochter oder für ihre Freundin, sind aber doch selbst zur Lesung erschienen (lacht), also ich glaub schon, dass es sie selbst auch interessiert (lacht).

Auf Recherche legt Bettina Balàka größten Wert. An jedes Thema nähert sie sich gründlich an, liest, forscht, legt Ordner an. Im Text müssen diese gesammelten Fakten dann gar nicht konkret vorkommen, sondern dienen nur als geistige Basis oder Hintergrund. In zahllosen Notizbüchern sammelt sie Ideen, die jederzeit kommen können. Sie gehört nicht zu "jenen zwanghaften Autoren", die regelmäßig zu bestimmten Zeiten arbeiten, mit einem kleinen Kind geht das noch weniger. Aus Zeitgründen schreibt sie alles in den Computer, auch Gedichte.

Zu vorgegebenen Abgabeterminen für Auftragsarbeiten oder Wettbewerbe kommt der eigene Ehrgeiz, denn sie will mindestens jedes zweite Jahr ein Buch herausbringen. Derzeit gibt es sogar einen Stau in der Pipeline: Nach dem soeben erschienen ersten Roman kommt im Herbst ihr Essay "Messer" auf den Markt. Bereits fertig ist ein nächster Gedichtband "Im Packeis", der nächstes Frühjahr veröffentlicht wird. Derzeit arbeitet sie an einem neuen Theaterstück zum Thema Bulimie und am nächsten Roman, der die glorifizierten Themen Schwangerschaft und Mutterschaft "entzaubern" will.

Die Vielschreiberin Bettina Balàka ist ein literarisches Multitalent: Lyrik, Erzählung, Roman, Theaterstück, Essay - kaum eine literarische Gattung, in der sie sich nicht erfolgreich betätigt hätte. Vorlieben für eine bestimmte Gattung hat sie nicht, "alles ist für mich gleich interessant, jedes hat seinen eigenen Reiz". Also in der Produktion habe ich fast immer schon alles gemacht, ich habe auch schon in der Kindheit versucht, Theaterstücke zu schreiben, genauso wie Gedichte und Erzählungen, aber in der Publikation habe ich erst mit Lyrik begonnen, dann kamen kürzere Prosatexte, jetzt der erste Roman. Ich betrachte mich als Textproduzentin, um das einmal schlicht auszudrücken. Das ist ja das Spannende, wenn man sich mit verschiedenen Formen befassen kann.

Ein unverkennbares Markenzeichen für Bettina Balàkas Stil ist ihre dichte Sprache, ein fein gesponnenes Gewebe, das beachtliche poetische Qualitäten aufweist. Bis dahin hat sie aber einen weiten Weg zurückgelegt: "Für mein eigenes Schreiben war es unumgänglich, in aller Respektlosigkeit die internalisierten Deutschlehrerinnen mit ihrem erhobenen Zeigefinger meines Gehirns zu verweisen", erinnert sie sich. Das war der Beginn eines zähen Kampfes: Ich musste erst etliche Bücher "experimentell" schreibender KollegInnen lesen, um wirklich glauben zu können, dass kein Blitz aus dem Olymp fährt, wenn man das vorgegebene Regelwerk durchbricht. Heute beansprucht sie "die absolute Oberhoheit über meine Sprache: Syntax, Grammatik, Orthographie, Interpunktion sind meine Materialien, die ich je nach Intention des Textes bearbeite". Das bedeutet lustvolle Regelbrüche ebenso wie ein scheinbares Einschmiegen in die ‚Normalität', um auf einer tieferen Ebene zu wirken.

Was hält sie als von der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur? Das Schöne an der deutschsprachigen Literatur ist, dass sie jetzt in eine Phase eingetreten ist, wo alles möglich ist, wo vieles parallel existiert. Es gibt noch genauso die mittlerweile klassische experimentelle Literatur und es gibt keine Dogmen mehr, sondern jeder macht das, was er kann und was ihm liegt. Es gibt von einer Christine Huber, die extrem experimentell ist, bis zu einem Robert Schneider, um ein Beispiel des völlig banalen Erzählens zu nennen, so ziemlich alles am Markt, und der Leser kann sich selber aussuchen, was ihm zusagt.

Allerdings haben sich Werbung und Journalismus sehr stark an den Techniken und Erkenntnisse der experimentellen Literatur bedient, möglicherweise, weil sich viele Literaten als Werbetexter betätigt haben. Somit kam es zu starken Vermischungen. Manche Sprachspielereien sind sogar schon so stark in die Werbung eingegangen, dass sie für die Literatur damit unbrauchbar geworden sind, meint sie. Kürzlich etwa las sie im Schaufenster das Wort "Gehfühl", das schon vor zehn Jahren im Gedicht eines Kollegen vorkam. Wenn Literatur klingt wie eine Humanic-Werbung, ist es tragisch. Aber das eigentlich Schlimme ist, dass wieder einmal die Kohle an andere geht und die, die es erfunden haben, sind die sogenannten Außenseiter in der Literatur.

Wohin kann man jetzt noch aufbrechen, wenn diese sprachlichen Möglichkeiten schon besetzt sind? Ich gehe in der Prosa und auch in der Lyrik eher wieder ab von der Zerlegung des Wortes. Es ist ja generell in der Kunst schwierig, immer wieder innovativ zu sein, denn alles Neue wird kurz darauf zum Mainstream, das geht immer schneller.

Ob und wie Schriftsteller auch sprachlich auf neue Töne in der Politik reagieren, muss sich erst herausstellen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten: mit den selben Mitteln arbeiten, also den Bierzeltjargon zu verstärken und damit zu entlarven, indem man ihn übersteigert und ironisiert, oder umgekehrt, dass man als Gegengewicht wieder subtilere Sprachformen verwendet. Wichtig ist, dass man sich nicht auf ein gewisses Niveau darunter begibt. Schläge unter die Gürtellinie, das ist zu billig.


Willi Hengstler in korso Nr. 12, Dezember 2005:

Bei einem Literaturpreis weiß man ja nie, wie toll die unbekannten Verlierer waren. Aber bei „The Blitz Experience“, dem Siegertext für den Literaturwettbewerb der Akademie Graz 2005, hat man das sichere Gefühl, dass Bettina Balàka Sieg und den vom Bundeskanzleramt gestifteten Preis absolut verdient. Sie nimmt das Thema der Akademie „Österreich heute: 50 Jahre nach dem Staatsvertrag“ zum Anlass, um eine ganz allgemeine und sehr aktuelle Thematik zu behandeln. Wobei Emil Breisach, Präsident der Grazer Akademie, in seiner gepflegten und routinierten Einleitung darauf hinwies, dass es diesmal deutlich weniger Einsendungen zu dem sperrigen Thema gegeben habe.
Balàkas Ausgangspunkt sind nicht, was vielleicht nahe liegend gewesen wäre, Bilder oder Filme, sondern das Heeresgeschichtliche Museum Wien und vor allem das War Museum in London. Wie lassen sich Krieg und Grauen darstellen? Wie kippt Aufklärung in Geschmacklosigkeit? Wie authentisch können Erinnerungs- und Leidensarbeit im inszenierten Rahmen sein? Wie geht eine Zivilisation, die sich an der ästhetisch-ideologischen Vorlage von Disney-World orientiert, mit dem historischen Horror oder Schuld und Sühne um? Wobei Bettina Balàka für Österreich zunächst die Möglichkeit ausschließt, Disney-Strategien zur Aufarbeitung der Geschichte heranzuziehen (wie sie etwa im Londoner War Museum Verwendung finden). Bis sie Robert Menasse in London hört, der sich über Konzepte zum österreichischen Gedenkjahr erregt. In Wien soll eine Bombennacht inszeniert oder der „Belvederebalkon“ durch die Bundesländer geschickt werden, um den Bundesbürgern endlich eine Chance zu geben, „Österreich ist frei!“ zu rufen. Daraus wurde nichts, wie man weiß. Balàka verschärft ihre Perspektive bis ins Persönliche. Sie erzählt, wie sie per Zigarette (vielleicht) Brandalarm, Evakuierung und Feuerwehreinsatz in ihrem Hotel auslöst, ihre (mögliche) Mitschuld verschweigt und damit in die Rolle eines (möglichen) Opfers und Mittäters zugleich gerät. Ein toller Text, den man in den neuen Lichtungen Nr. 104 nachlesen kann und für den Balàka am 9. Dezember gemeinsam mit Franz Schuh auch die „Auszeichnung für literarische Gedankenblitze im aufgezogenen Jubelgwölk“ erhalten wird – einen einmaligen von 11 großen österreichischen Literaturveranstaltern gestifteten Preis.

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