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Im Packeis

Helmut Gollner in:
http://www.kulturundsprache.at/service/Buchrezensionen/Buchrezensionen.shtml#packeis


Oberösterreichische Nachrichten, 15.11.2002:


Mag sein, dass dieses Bild unziemlich ist: Als hätte Georg Trakl einen sanften schöpferischen Anstoß in die Gegenwart geschickt und Bettina Balàka hätte ihn empfangen - die Gedichte der Salzburgerin sind - angeblich ein Fauxpas in der Kunstdefinition - einfach schön: warm, von blühendem Bilderreichtum und bewegender Tiefgründigkeit. Sehr persönliche Erinnerungen an die Reisen in die Welt und zu sich selbst werden im Werk der Lyrikerin zum Allgemeingut poetischer Qualität.


Sabine Treude in Female Sequences Nr. 4/2002:

Die in Wien lebende Autorin hat nach ihrem Roman Der langangehaltene Atem nun wieder einen Gedichtband geschrieben. In ihm werden bekannte Orte wie der Lunzer See, die Auen oder der Michelberg so zur Sprache gebracht, daß sie sich mit fernen unbekannten Orten, wie dem Mond oder den Erdrändern, zu treffen scheinen. Diese Begegnung in der Sprache wird getragen von dem Blick eines Ich, der die Nähe wie die Ferne durch eine Fremdheit berührt, die das Bekannte reflektierend zuläßt und sich gleichsam dem Unbekannten gegenüber öffnet. Und dies so sehr, daß Nebel und Klarheit einander ähnlich werden. Ein eindrucksvolles Buch.


Maria Renhardt in SCHRIFT[ZEICHEN] Nr. 4/2001:

Bereits mit ihrem 1994 erschienenen Lyrikdebut Die dunkelste Frucht hat Bettina Balàka auf sich aufmerksam gemacht. Sieben Prosa-Jahre später liegt nun ihr zweiter Gedichtband vor, der in unverwechselbarem Ton unterschiedlichste Sujets vereint. Kopfreisen von Chaitén bis Ulaanbaatar, Welt- und Wirklichkeitswahrnehmungen, persönliche Erinnerungen und Spuren kollektiver Geschichte. Balàka treibt ins Herz der Sprache, arrangiert Bedeutungsfelder, fugt und bricht. "Un oder Fug"? Wörter aufgespalten, abrupt abgebrochen, neu geschöpft; da werden Substantiva plötzlich zu Verben, zwetschken daher zwischen Staren und Klapotez, zwischen lyrisch getönten Stimmungen und schönen Bildern. "Eine eiweiße Taube, ... / trinkt aus der Grasschale / ihr Wassergedächtnis", "Blindschleichen flinken". Das lyrische Ich bricht "die Treppe / und wendelt hinauf". Keine "Gutenachtkörner" für Nordseestrandkörbe, aber "berittene Lichter" über Englands Mooren. Balàkas Spracharbeit beschert nicht nur sprachästhetischen Genuss, sondern ist zugleich sprachkritischer Erkenntnisgewinn. Im unterirdischen Stollen versunkene Wortreste inmitten der "Knochen der / Zwangsarbeit", so als wollten sie das sukzessive Vergessen und Verdrängen noch warmer Geschichte markieren. Ganz nebenbei zieht Balàkas Lyrik den Leser auch in extreme Denkgefilde hinein. Packeis und Tod sind nur eine Facette davon. Das Driften zwischen Schollen und eisigen Inseln, der Puls ins Infrarot gefallen, schon mit dem "Fuß / voller Stacheln ins Meer" getreten. Präzis nuanciert, oft lakonisch präsentiert Balàka in ihren Gedichten, die besonderes Augenmerk verdienen, einen zweiten Blick auf die Wirklichkeit.


Sabine Treude in der Volksstimme, 4. Oktober 2001:

Von der österreichischen Autorin Bettina Balàka ist unlängst der neue Gedichtband "Im Packeis" erschienen, der durch die subtile Mischung von Leichtigkeit und Schwere, die jedes der Gedichte trägt, auffällt. Überraschend ist diese Mischung allerdings weniger, stachen und stechen doch auch Balàkas bisher erschienene Texte - wie etwa der Essay "Messer" oder der Roman "Der langangehaltene Atem" - durch ironische Schärfe inmitten einer verspielt wirkenden und trotzdem präzise gehaltenen Sprache hervor. In Balàkas Texten vollziehen die Inhalte, das Erzählte und die Gedanken den Schritt, sich mit der Sprache so zu verbinden, daß die Passagen und Schwellen deutlich werden, ohne einander - sei es nun durch Beschönigungen oder durch radikale Brechungen - zu verletzen. Balàkas Sprache trägt die ihr zugemutete Last des Erzählten, indem sie spricht, sich verdichtet und zugleich öffnet. Die Sprache und die Inhalte werden nicht zu einem Bild geglättet, sie entfalten sich in den Spielformen des Drapierens, und zwar so, daß aus dem Faltenwurf ein unmißverständliches Nein laut wird.
Die in drei Zyklen - Kopfreisen, Koordinaten, am Herd und im Packeis - angeordneten Gedichte entziehen sich, kaum aufgeblättert, der topographischen Ordnung schon wieder. Sie gerät vielmehr in Bewegung, ohne daran zu zerbersten. Der Blick wird von einem Detail zum nächsten versetzt, verliert sich in den fixierten Räumen und Landschaften in solcher Buntheit, daß das Verschlossene aus den Fugen gerät und im stetigen Austausch sein Antlitz zeigt. Was Balàka zunächst anhand von Körper- und Sprachbildern deutlich machte, wird in den Gedichten auf Orte und Länder bezogen. Und auch hier übersetzt sie das Material, mit welchem die Topoi den Eindruck eines unumstößlichen Bildes zu erwecken suchten, durch ein ebenso mosaikförmiges wie faltenreiches Sprachgewand hindurch, um die Bewegung von Innen und Außen ins Spiel zu bringen. Die Wahrnehmung reduziert sich nicht mehr auf die bloße Feststellung, hier bin ich und dort bist du, sie läßt sich vielmehr auf die Frage nach dem Wer und dem Was ein, ohne eine maßgeschneiderte Antwort mitliefern oder gar benennen zu müssen. Die Haut bleibt das gleichsam Trennende und Verbindende, die weder der Blick noch die Sprache einzufrieden suchen, sondern lediglich zum Ausdruck bringen.



Rüdiger Görner in Die Presse (Spectrum), 25.8.2001:

Die Essayistin und Lyrikerin Bettina Balàka verfolgt einen betont ausgreifenden poetischen Ansatz, von Luxor über Lofer, Reykjavík und andere nördliche Zonen. Das sind Gedichte, die nichts und niemanden festhalten wollen, sondern sich zuweilen nur einen "langen Blick zurück" gönnen. Sie stoßen sich ab - natürlich auch von der Tradition. Von einem "Panther im modernen Zoo" etwa heißt es: "er wandert nicht mehr hinter Rilkes Gitterstäben / und muß den Leib zu kleinen Kreisen biegen / stattdessen heute: jenseits betonierter Wassergräben / sieht man ihn malerisch auf Bäumen liegen." Das ist gekonnt, gewitzt und mutig. Wie ich überhaupt viel Courage in diesen Gedichten spüre, Mut zum großen Wurf über die kleinliche Befangenheit in der Welt. Daß große Würfe Zielgenauigkeit nicht ausschließen, belegen Balàkas Gedichte.


Vorarlberger Nachrichten, 28. April 2001:

Die Illusion der unbeschränkten und raschen Verfügbarkeit fremder Kulturen führt auch dazu, daß räumliche Veränderung noch weniger als früher ein befreiendes Loslassen von den quälenden inneren und äußeren Zuständen in der so genannten Heimat bewirken kann. Im Werk Bettina Balàkas findet sich wiederholt das Unterwegssein als Metapher für die Suche nach dem kleinen Glück. Ihr neues Buch "Im Packeis" stellt eine Weiterentwicklung der bewähren assoziativen Erzähltechnik mit dem Instrumentarium moderner Lyrik dar.
In ihren Gedichten unternimmt sie zunächst Kopfreisen nach Ägypten, Island und in die Mongolei. Falls solche Reisen je als Befreiungsaktion von schmerzhaften Erinnerungen und beunruhigenden Angstzuständen gedacht waren, so lassen Balàkas Texte solcherlei Hoffnung nicht einmal in Ansätzen aufkommen. Starke Bilder und Reiseeindrücke werden demnach mit erschreckender Regelmäßigkeit von den im geistigen Gepäck mitgeschleppten Brocken aus Alpträumen und unerfüllbaren Sehnsüchten überlagert. Sogar unter Wasser, bei einem Tauchgang findet sich bei Balàka keine Erholung für den "aufgemüdeten" Menschen. Die Lyrik von Bettina Balàka ist hochkonzentriert und erschließt ihre Ästhetik erst bei wiederholtem, von angestrengtem Denken losgelöstem Eintauchen in das unvorhersehbare Terrain der freien sprachlichen Assoziation.



Manfred Bosch im ekz-Informationsdienst, August 2001:

Die dem Band vorangestellte Notiz von M. L. Kaschnitz über "Orte, nie gesehene", in denen sich "fremde seltsame Existenzen" führen lassen, ist kein schlechter Schlüssel für diesen Band und seine "Kopfreisen": Keine festen Vorstellungen oder Bilder behindern den Flug der Phantasie, das Schreiben schafft sich im freien Vers und unbekümmert von sanktionierten Realitäten eine eigene Wirklichkeit ("heute Nacht will ich / von Ulaanbaatar träumen..."). Ironien und Idiosynkrasien, die mit der Heimat der Autorin zu tun haben ("diese verherrlichte Bergwelt...") finden in ihre Gedichte ebenso Eingang wie sprachspielerische Elemente und eigene Phantasien, die sich oft an Lokalitäten und Erinnerungen entzünden.


Helga Pankratz in an.schläge, Mai 2001:

Entdeckungen, ohne sich vom Ort wegbewegen zu können; körperlich festgefroren, aber geistig beflügelt. Dieses Motiv erinnert auch ein bissl an Balàkas Prosa der "Krankengeschichten". Der Einleitung mit einer Passage aus Marie Luise Kaschnitz´ "Orte" hätte es vielleicht gar nicht bedurft. "Im Packeis", das letzte der Gedichte, ist die perfekte Programmatik für den gleichnamigen Band. Balàka ist im Universum der Sprache zuhause, wo die Wörter sich selbst einen Reim machen; und zwar "mehr anders als artig".


Helwig Brunner in schreibkraft 2001:

Bettina Balàka, 1966 in Salzburg geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Wien und kann nicht über mangelnden Erfolg klagen. Sie hat schon so ziemlich alles eingeheimst, was sich hierzulande an Auszeichnungen anbietet, ausgenommen jene Seniorenpreise, die ihr aus rein biologischen Gründen bisher verwehrt blieben. So erhielt sie unter anderem den Rauriser Förderungspreis, den Alfred Gesswein-Preis für Lyrik, den Meta Merz-Preis und den Österreich-1-Essay-Preis. Seit 1994 erschienen sechs Bücher; zwei Gedichtbände bilden den Anfang und den vorläufigen Schlusspunkt.
Ein Wald aus Anderssein, Krankheit und Tod - so betitelt Gerhard Melzer seine Laudatio auf Bettina Balàka anlässlich der Verleihung des Rauriser Förderungspreises 1992. Diese Formulierung trifft zusammen mit dem Buchtitel Die dunkelste Frucht genau den Grundtenor ihrer frühen Gedichte. Sinistre Szenerien voller Schrecken und Zerstörung herrschen hier vor, in denen das lyrische Ich verängstigt und gequält umherirrt und sich bestenfalls mit beißendem Zynismus zu wehren weiß. Dass die Sprache in jener Zeit zum positiven Pol im Leben der Autorin wird, verrät das berührend schlichte Gedicht River Spell: "Tanz und Glanz" trägt jener Fluss mit sich, in dessen Namen die deutschen Entsprechungen "Zauberwort" und "buchstabieren" mitklingen. Trotz der hohen sprachlichen Qualität und Vitalität, die schon diese Gedichte auszeichnet, kann ihnen der leise Vorwurf des Pathos und des Manierismus nicht erspart bleiben.
Der unlängst erschienene Gedichtband Im Packeis hält zwischen in kühlem Hellblau gehaltenen Buchdeckeln sehr viel lichtere, formal zurückhaltendere und dafür inhaltlich und sprachlich umso reichhaltigere Texte bereit. Der bittere Zynismus ist einer freundlichen Ironie gewichen, leichtfüßige Sprachspiele durchkreuzen koboldhaft das weite Feld des Beschriebenen.
Schon das kurze Kapitel Kopfreisen, Koordinaten skizziert am Beispiel einiger bekannter und wenig bekannter Orte - Chaitén, Luxor, Reykjavík, Ulaanbaatar und Zaramag - eine Weltsicht, in der Faktenwissen, subjektive Wahrnehmung und Sprache eine Einheit intensiven und reflektierten Erlebens bilden. In der Literaturzeitschrift Salz (Heft 98/1999) waren die Ortsangaben dieser Gedichte noch durch geografische Koordinaten ergänzt worden; im Buch genügt nun der Titelbegriff "Koordinaten", um die Kopfreisen wie mit Stecknadeln auf der Weltkarte zu verorten.
In den folgenden Kapiteln werden vielerlei Themen aufgegriffen - auch solche, an die mit lyrischen Mitteln heranzugehen heute ein Wagnis ist. Rilkes Panther hinter den Gitterstäben wird ebenso behandelt wie die Zwangsarbeit im Dritten Reich und der Epoche machende Widerstand der Umweltaktivisten in der Hainburger Au. Das zuletzt angesprochene Gedicht mit dem Titel Au-Abend ist ein gutes Beispiel dafür, wie Balàka die Register der Sprache zieht: Nicht jeder kann sich den Luxus leisten, Formulierungen wie "ertrinken Weidenleichen würdig in birkengoldlaubbestreuter Wasserstille" und "vor den Au-Augen der Besetzer wächst wieder Gestrüppüppigkeit" niederzuschreiben und stehen zu lassen. Bettina Balàka leistet ihn sich, sie lässt auch den Klapotetz im steirischen Weinland "klapp klapper" sagen und bleibt dabei doch immer irgendwie seriös. Das und manches andere wird der Leser bei der Lektüre von Balàkas Gedichten staunend erleben.



Christine Dobretsberger in der Wiener Zeitung, 11.05.2001:

Lyrik, die zu unterschiedlichen Lesegeschwindigkeiten verführt, bietet Bettina Balàkas jüngster Gedichtband "Im Packeis". Denn es ist nicht zuletzt eine Frage des Lesetempos, ob man sich auf den sogartigen Fluss der zum Teil kühnen Assoziationsgebilde einlässt - den Klang der Sprache als oberste Norm setzt - oder ob man genauer in die Durchmischung aus machtvollen Metaphern und "realem" Sprachgebrauch hineinhorcht: "wenn ich tot bin/ wird mein Gehör zur Sichel gekrümmt/ mein Gehirn verdunstet zur Wolke/ deren Flug Militärexperten verfolgen/ bis sie die Landesgrenzen überschwebt..."
Dass eine sanft anmutende Brise in Windeseile zu einer Sturmgeschichte mutiert, ist dem Geschick der Autorin zuzuschreiben, die der Welt - wie im Flug - ihre dunklen Geheimnisse entreißt.

hinauf